Sophie Louisa Kwaak und das Kapital der Frankfurter Schule. Uitgeverij Bornmeer, Gorredijk, 2015, 271 Seiten.

Sophie Louisa (Fietje) Kwaak war eine außergewöhnliche Frau. Außergewöhnlich durch ihre gesellschaftliche Herkunft und außergewöhnlich durch ihre große Rolle bei „Robema“, der Rotterdamsche Belegging- en Beheer Maatschappij, derjenigen Organisation, mit der Felix und Anita Weil ihr deutsches Familienkapital und das Kapital für das Institut für Sozialforschung aus den Händen der Nazis retten wollten. Durch ihre Tätigkeiten für Robema wurde ihr eine Verantwortung übertragen, die sie über sich selbst hinauswachsen ließ. Diese Biografie hat neun Kapitel. Die ersten drei handeln von ihrer Jugend in Oosterland, ihren Jahren auf der ‚Rijkskweekschool‘ (staatliche Lehrerausbildung) in Apeldoorn und ihrer Laufbahn als Stenotypistin und Sekretärin bis zu ihrer Ernennung zur Direktionssekretärin bei Robema im Jahre 1933. Die Kapitel 4, 5, 6 und 8 bilden die Pièce de Résistance dieser Studie. Sie befassen sich direkt mit ihren Geschäftstätigkeiten für Robema.

Kapitel 4, Nadel und das Weil-Kapital, Kapitel 5, Kriegszeit, Kapitel 6, Gleichgewicht zwischen Robema und Price Waterhouse und Kapitel 8, Die Abwicklung von Robema, beziehen sich aufeinander. In Kapitel 7, Ein letzter Frühling, und 9, Die kleiner werdende Welt einer älter werdenden Dame, wird das gesellschaftliche Leben von Fietje Kwaak beschrieben. Auf der Grundlage seiner Lebenserinnerungen wird in der Literatur über die Frankfurter Schule davon ausgegangen, dass Felix Weil nach 1921 keine aktive Rolle mehr im Handelsunternehmen der Familie, Weil Hermanos, spielte. Diese Studie demonstriert jedoch die ständige Verbundenheit von Felix Weil mit der argentinischen und der im Jahre 1932 gegründeten niederländischen Firma Weil Hermanos, der Fruka-Kreditgesellschaft, der Frankfurter Schule (SIRES), und zwar alles im Verhältnis zu Robema. Die Studie schließt damit eine Lücke in der Wissenschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Das Buch beruht auf dem Archiv Kwaak. Für eine Rekonstruktion der Verwicklungen im Zusammenhang mit Robema habe ich vor allem von ihrer Korrespondenz mit Friedrich Pollock und dem umfangreichen Briefwechsel mit dem Direktor von Robema, Arthur Erich Nadel, über die Periode 1939-1972 Gebrauch gemacht.

Die Landarbeitertochter Sophie Louisa – genannt Fietje – Kwaak (geboren am 9. Juli 1901 in Oosterland – gestorben am 5. Oktober 1990 in Rotterdam), war die Tochter aus zweiter Ehe des Landarbeiters Cornelis Kwaak (1858 – 1909) und der Feldarbeiterin Cornelia Willemijna van der Werf (1863 – 1941). Sie leistete fast Unmögliches, als sie 1916 die strenge, selektive Aufnahmeprüfung der ,Rijkskweekschool voor Onderwijzeressen’ (staatliche Lehrerinnenausbildung) in Apeldoorn bestand. Sie konnte mit einem staatlichen Stipendium studieren. und stand intellektuell niemandem etwas nach. Sie wurde Stenotypistin und bekam 1920 eine Stelle bei R.S. Stokvis in Rotterdam. 1933 machte sie den Stellenwechsel, der in ihrem Leben eine große Wende bedeuten sollte – sie wurde Chefsekretärin der Rotterdamsche Belegging- en Beheermaatschappij n.v. „Robema“, Die Stelle wurde gut bezahlt, aber verlangte dafür viel Engagement von ihr. 1932 hatte die Familie Weil ihr Kapital für das Institut für Sozialforschung ins Ausland geschafft.

Ursprünglich dachte man, dass das 1932 gegründete niederländische Unternehmen Weil Hermanos n.v. das geeignete Instrument sei, dieses Kapital zu verwalten. Als dabei Schwierigkeiten entstanden, wurde eine neue Rechtsperson gegründet, Robema. Teilhaber waren Felix und Anita Weil. Weil die Anteile von Robema ‚auf den Inhaber’ lauteten, war das Eigentum nicht zurückzuverfolgen. Der Geschäftsführer von Robema, Arthur Erich Nadel, sorgte dafür, dass es nach 1935 keine nachweisbare Beziehung mehr zwischen dem von ihm verwalteten Kapital und der Familie Weil gab. Eine anonymisierte Buchhaltung machte die Identifikation von Konten unmöglich. Robema wurde frühzeitig auf eine deutsche Besatzung vorbereitet. Im Februar 1939 ging Nadel in die Vereinigten Staaten und Fietje Kwaak wurde zum stellvertretenden Direktor wegen der ‚Abwesenheit von und Verhinderung des Direktors‘ ernannt.

Es war nun ihre Aufgabe, Robema durch den Krieg zu führen. In den ersten Monaten von 1940 überwies sie noch so viel Geld wie möglich in die Vereinigten Staaten, sodass am Anfang des Krieges noch 1,7 Millionen Gulden des Weil-Kapitals in den Niederlanden verblieben. Beim Bombardement auf Rotterdam am 14. Mai 1940 ging das Robema-Büro in Flammen auf. Danach richtete sie ihre Wohnung als Büro ein. Durch den Brand bekam sie ein Alibi, wodurch sie bei Nachfrage nicht alles zeigen konnte und sie ließ alles verschwinden, was auf die Eigentümer hätte hinweisen können. Auf Fragen des Besatzers nach der möglichen jüdischen Identität von Robema, wendete Fietje Kwaak eine Verzögerungstaktik an. Sie reagierte bei der Verordnung bezüglich der Erklärung von Unternehmen ‚die unter jüdischem Einfluss stehen’ formell-korrekt: sie tat so, als wisse sie von Nichts und versprach, nachzufragen. Fietje passte zu der Rolle, die sie im Zweiten Weltkrieg erfüllen sollte. Sie war von niederländisch-reformierter Abkunft und hatte einen einwandfreien arischen Stammbaum. Sie war zierlich, blond und sie konnte äußerst diplomatisch sein. Geschickt spielte sie das blonde, naive Frauchen – sie war 1.57 Meter groß. Sie legte auch ausgedünnte finanzielle Vermögensbilanzen vor. Sie erwartete, dass Robema dann nicht ‚interessant’ für die Besatzer sein würde und so gewann sie Zeit, um mehr Spuren zu beseitigen. Erst im März 1944 setzte der Besatzer einen Nazi-Verwalter bei Robema ein.

Kwaak behauptete hartnäckig, dass die Firma nicht unter die Verordnung feindlicher Vermögen fiel, dass sie nichts über das ‚nicht-arisch’ sein des Betriebs und das Kapital, das er verwaltete wusste und dass von der Buchhaltung nur noch verkohlte Karten übriggeblieben waren, die keinen Aufschluss mehr gaben. Im April 1944 musste sie einige Anteile übertragen, aber diese blieben in den Niederlanden: ‚Wahrscheinlich haben die Germanen keine Gelegenheit mehr gehabt oder sie haben es nicht gewagt, sie zu stehlen’, schrieb Fietje Kwaak am 28. Dezember 1945 an Nadel. Entscheidend war, dass Fietje Kwaak in der Lage war, dem bestellten Nazi-Verwalter zu widerstehen. Die Spannungen wegen Robema verlangten ihr viel ab. Nach dem Krieg kostete es sie Jahre, bis sie körperlich und mental wiederhergestellt war. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie Chefsekretärin beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen Price Waterhouse in Den Haag. Sie kombinierte dies mit ihren Tätigkeiten für Robema. 1948 wurde Robema aufgelöst und danach soweit wie möglich zerlegt. Die Finanzkonstruktionen von Robema mit der deutschen Fruka Kreditgesellschaft waren jedoch so kompliziert gemacht worden, dass sich Robema nicht auflösen ließ.

Es gelang Fietje, Antworten auf viele Fragen, die Friedrich Pollock über Robema hatte, aus den Archiven aufzustöbern, vor allem bezüglich des Streits in den dreißiger Jahren zwischen der Familie Weil und Herbert Hofmann, dem Ehemann von Anita Weil. Das Material aus dieser Periode ist in Kapitel 4 verarbeitet worden. Bis 1964 waren Nadel und Fietje Kwaak mit diesen Angelegenheiten beauftragt. Wegen ihrer großen Loyalität gegenüber Robema tat Fietje ihr Möglichstes, die Kosten von Robema zu drücken – sie löste die für sie bestimmten Reservierungen nicht ein, rechnete nichts für Briefmarken, arbeitete umsonst und drängte nicht zum Einziehen ihrer Miete. Das änderte sich, als sie 1958 merkte, dass Friedrich Pollock ohne ihr Mitwissen in Deutschland bei der Fruka Tausende von Marken Robemageld für das Institut für Sozialforschung freigemacht hatte. Mit Unterstützung von Nadel verlangte sie noch nachträglich eine Vergütung für ihre Anstrengungen ab 1947. Für ihre Arbeit im Krieg bekam sie einen abgerundeten Betrag von 2500 Gulden.